Dokumentationszentrum »Territoires de la Mémoire«

Centre d’éducation à la résistance et à la citoyenneté »Territoires de la Mémoire«


Das Dokumentationszentrum »Territoires de la Mémoire« (deutsch: »Räume der Erinnerung«) wurde 1993 von ehemaligen politischen Gefangenen, die im Zweiten Weltkrieg die deutschen Konzentrationslager überlebt hatten, als Antwort auf den Aufstieg des Rechtspopulismus in Belgien gegründet. Heute hat es seinen Sitz in der Cité Miroir, einem ehemaligen Schwimmbad in Lüttich, und richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene, um die Aufarbeitung von Kriegs- und Massenverbrechen zu fördern und den Widerstand gegen demokratiefeindliche Kräfte zu stärken.

Geschichte

Mit dem Anfang des Zweiten Weltkrieges griff die deutsche Wehrmacht das bis dahin neutral gebliebene Belgien an. Nach der Kapitulation des Landes am 28. Mai 1940 wurde das Gebiet Belgiens unter deutsche Militärverwaltung gestellt. Damals lebten rund 66.000 Juden im Land, die meisten von ihnen in Antwerpen und Brüssel. Viele von ihnen waren Flüchtlinge. Ende Oktober 1940 wurden die ersten antijüdischen Verordnungen zur Erfassung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung erlassen. Ab dem Sommer 1942 folgten Razzien und Deportationen. Insgesamt fuhren 27 Transportzüge mit jüdischen Deportierten von Belgien nach Auschwitz ab. Mehrere hundert Juden wurden von Belgien aus auch in die Lager Bergen-Belsen, Buchenwald, Ravensbrück und Vittel verschleppt. Die Kazerne Dossin in Mechelen diente als Durchgangs- und Sammellager für die in Belgien verhafteten Juden. Insgesamt wurden rund 25.000 Juden aus Belgien in deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Juden in Belgien waren jedoch nicht völlig hilflos: Viele sind untergetaucht, über 2.500 jüdische Kinder wurden auch vom Comité de défense des Juifs (deutsch: »Komitee zur Verteidigung der Juden«) gerettet. Insgesamt war der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft in Belgien sehr aktiv: Große Gruppen wie die kommunistische Front de l’indépendance (deutsch: »Unabhängigkeitsfront«) und die rechtskonservative Armée secrète (deutsch: »Geheime Armee«), aber auch kleinere Organisationen wie die für Sabotageakte zuständige »Gruppe G« und die Partisans armés (deutsch: »Bewaffnete Partisanen«), die Anschläge verübten, waren in vielfältiger Weise tätig. Ihre Aktionen wurden durch die Arbeit von diversen Informationsdiensten und Fluchthilfenetzwerken unterstützt. Insgesamt haben sich rund 165.000 Belgier an unterschiedlichen Formen des Widerstands beteiligt. Mehrere tausend von ihnen wurden von deutschen Militärgerichten verurteilt oder in deutsche Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppt.

Opfergruppen

Insgesamt wurden 24.906 jüdische Kinder, Frauen und Männer in 27 Transporten zwischen 1942 und 1944 von Belgien nach Auschwitz deportiert. Weitere 218 Juden wurden von Belgien in die Lager Bergen-Belsen, Buchenwald, Ravensbrück und Vittel verschleppt. Aus dem in Frankreich errichteten Durchgangs- und Sammellager Drancy wurden mindestens 5.034 Juden nach Auschwitz verschleppt, die noch im Mai 1940 in Belgien gelebt hatten und später nach Frankreich geflohen waren oder von den belgischen Behörden ausgewiesen worden waren. Rund 40 Prozent der 66.000 Juden, die im Mai 1940 in Belgien gelebt hatten, überlebten den Holocaust nicht.

Etwa 40.000 politische Gegner und Widerstandskämpfer wurden in Belgien verhaftet, mehr als die Hälfte von ihnen im Jahr 1944. Fast 15.000 verloren ihr Leben. Die Anzahl der politischen Gegner und Widerstandskämpfer, die von Belgien in deutsche Konzentrationslager deportiert wurden, wird auf 6.000 bis 7.000 geschätzt. Dazu kommen noch die rund 4.500 des Widerstands verdächtigten Personen, die mit dem Kürzel NN (für »Nacht und Nebel«) heimlich in deutsche Lager wie das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im annektierten Elsass verschleppt wurden.

Auch 353 Sinti und Roma aus Nordfrankreich und Belgien wurden in den ersten Monaten von 1944 nach Auschwitz verschleppt. Nur 33 von ihnen überlebten die Deportation.

Homosexuelle wurden im deutsch besetzten Belgien nicht explizit verfolgt. 7 Männer wurden jedoch zwischen 1942 und 1944 für ihre Homosexualität in Belgien zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Erfahre mehr über Belgien

Das neutrale Belgien wurde im Mai 1940 angegriffen und stand fortan unter deutscher Militärverwaltung. Das deutschsprachige Gebiet um Eupen-Malmedy im Osten Belgiens wurde Teil des Deutschen Reiches. Damals lebten etwa 66.000 Juden im Land, darunter viele Flüchtlinge. Im Oktober 1940 wurden die ersten antijüdischen Verordnungen erlassen. Die Verfolgungs- und Beraubungspolitik der Besatzungsmacht mündete 1942 in die Vorbereitung systematischer Deportationen. Nachdem nur wenige Juden den Aufrufen zu angeblichen Zwangsarbeitseinsätzen folgten, führte der SS- und Polizeiapparat Razzien durch. Nach einem Aufenthalt im Zwischenlager Mechelen wurden die Verhafteten in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort sofort ermordet. Insgesamt fielen etwa 25.000 Juden und mehr als 350 Roma aus Belgien den Deportationen zum Opfer. Die Festung Breendonk bei Antwerpen diente ab September 1940 als Gefängnis, Auffang- und Durchgangslager, von wo vor allem politische Gegner der nationalsozialistischen Besatzer in deutsche Konzentrationslager transportiert wurden. Ende 1944 kam es im Rahmen der Ardennenoffensive im Südosten des Landes – in Lüttich und der Gegend um Malmedy – zu weitreichenden Zerstörungen mit zahlreichen zivilen Opfern, als deutsche Truppen erfolglos versuchten, die bereits bis Aachen vorgerückten Alliierten aufzuhalten. Etwa 90.000 Belgier wurden Opfer von Krieg und Besatzung. Die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung konnte dank der Hilfe nichtjüdischer Belgier überleben. Die belgische Gedenkkultur war und ist – entsprechend der politischen Struktur des Landes – mehrfach gespalten: Im französischsprachigen, wallonischen Landesteil ging lange eine verbreitete Überbewertung des Widerstandes mit der einseitigen Wahrnehmung Flanderns als »schwarz«. Dort wiederum beschönigten viele die Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern als Kampf für die vom belgischen Staat verfolgte flämische Nation. Die Verfolgung der Juden wurde verdrängt, ein Gedenken lediglich von der jüdischen Gemeinschaft aufrechterhalten. Seit den 1980er Jahren setzten sich an belgischen Gedenkorten jene Darstellungen durch, die nicht nur die flämische, sondern auch die wallonische Kollaboration zeigten und sowohl Widerstand als auch Unterdrückung zum Thema machten. Bei der Eröffnung des jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseums im flandrischen Mechelen im Jahr 1995 wurde deutlich, dass die von jüdischen und nichtjüdischen Belgiern geteilte Lagererfahrung eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Erinnerungen schafft. Die gleichberechtigte Existenz verschiedener Gedenkstätten wie zum Beispiel der Stätte des nationalen Widerstands in Breendonk und des Museums in Mechelen scheint inzwischen selbstverständlich zu sein.

Erinnerung

Ab den 1990er Jahren gelang es rechtspopulistischen Parteien wie Vlaams Belang (deutsch: »Flämische Interessen«) der Durchbruch in den belgischen Wahlen. Als Antwort gründeten ehemalige politische Gefangene, die im Zweiten Weltkrieg die deutschen Konzentrationslager überlebt hatten, 1993 das Dokumentationszentrum »Territoires de la Mémoire« in Lüttich. Das Dokumentationszentrum hatte zum Ziel, die Aufarbeitung von Kriegs- und Massenverbrechen zu fördern, den Widerstand gegen Hassrede und demokratiefeindliche Ideen zu stärken und die Gewährleistung von Grundfreiheiten und demokratischen Werten zu sichern.

Heute hat das Dokumentationszentrum seinen Sitz in der Cité Miroir, einem ehemaligen Schwimmbad in Lüttich. 2000 geschlossen und 2004 unter Denkmalschutz gestellt, wurde das Gebäude ab 2009 umfassend saniert. Das Planungsbüro Pierre Beugnier und Triangle Architectes waren mit den Renovierungsarbeiten beauftragt. Im Januar 2014 wurde die Cité Miroir schließlich eingeweiht und die neue Dauerausstellung des Dokumentationszentrums der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Betitelt »Plus jamais ça!« (deutsch: »Nie wieder das!«), thematisiert die Dauerausstellung die Erfahrung derjenigen, die im Zweiten Weltkrieg in die deutschen Konzentrationslager deportiert wurden. Neben der Dauerausstellung zeigt das Dokumentationszentrum mehrere Sonderausstellungen und stellt zahlreiche pädagogische Angebote und eine umfangreiche Bibliothek, die dem britischen Schriftsteller George Orwell gewidmet ist, zur Verfügung.

Angebote

Dauerausstellung zur Erfahrung der Deportation im Zweiten Weltkrieg, Sonderausstellungen zu verschiedenen Themen, Führungen, Bibliothek, Onlineressourcen, Kulturveranstaltungen

Öffnungszeiten

Winterzeit: montags bis freitags 9.00 bis 18.00, samstags 10.00 bis 18.00, sonntags 13.00 bis 18.00
Sommerzeit: montags bis samstags 10.00 bis 18.00, sonntags geschlossen

Kontakt

https://territoires-memoire.be/

accueil@territoires-memoire.be

+32 4 232 70 60

Cité Miroir, Place Xavier Neujean 22
4000 Lüttich/Liège, Belgien/Belgium