Ehemaliger Deportationsbahnhof Bobigny

Ancienne gare de déportation de Bobigny


Als Nachfolger des Bahnhofs Le Bourget wurde der Bahnhof Bobigny ab 1943 zum Drehkreuz der Deportationen der im Sammellager Drancy festgehaltenen jüdischen Kinder, Frauen und Männer nach Auschwitz. Im Juli 2023 eingeweiht, erinnert ein neu gestalteter Gedenkort auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Bobigny an die Schlüsselrolle, die er bei der Verfolgung und der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Frankreich spielte.

Geschichte

Nach der französischen Kapitulation vor der deutschen Wehrmacht im Juni 1940 besetzten die Deutschen den Norden Frankreichs. Im gleichen Monat beschlagnahmten sie einen Komplex von Sozialwohnungen in Drancy, einem Vorort nordöstlich von Paris, um dort Kriegsgefangene zu internieren. Ab den ersten Verhaftungswellen gegen Juden im Jahr 1941 gestalteten die deutschen Behörden den Komplex jedoch in ein Sammellager für jüdische Gefangene um.

Nach der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 in Berlin, bei der die »Endlösung der Judenfrage« diskutiert worden war, setzten die Nationalsozialisten die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Frankreich in Gang. An den Verhaftungen und den anschließenden Deportationen waren auch die französischen Behörden maßgeblich beteiligt. Drancy wurde zu einem Zentrum für die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Frankreich in die deutschen Vernichtungslager im deutsch besetzten Osteuropa: Bis zu seiner Befreiung im August 1944 durchliefen rund 64.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer das Sammellager. Von Juni 1942 bis Juni 1943 wurden die Transportzüge zunächst am Bahnhof Le Bourget zusammengestellt. In dieser Zeit wurden fast 40.000 Häftlinge aus Drancy in 41 Transporten nach Auschwitz verschleppt.

Mit dem Einsatz des SS-Hauptsturmführers Alois Brunner (1912-nach 2001) als Leiter des Sonderkommandos der Gestapo für das Sammellager Drancy im Juni 1943 veränderte sich die Situation: Ab Juli 1943 wurde der Bahnhof Bobigny als Abfahrtsort für die Transportzüge genutzt. Bis August 1944 fuhren 21 Transportzüge mit über 22.500 Deportierten von Bobigny ab. Fast alle Transporte fuhren nach Auschwitz, außer des Transports 73 vom 15. Mai 1944 mit 878 Männern, die zum Teil nach Kowno (litauisch: Kaunas) in Litauen, zum anderen Teil nach Tallinn in Estland gebracht wurden, und des letzten Transports vom 17. August 1944, der in Richtung des Konzentrationslagers Buchenwald fuhr.

Opfergruppen

Insgesamt fielen 25 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Frankreich zum Opfer der Shoah. Rund 76.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer wurden aus Frankreich in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, darunter mehr als 11.000 Kinder.

Vom Bahnhof Bobigny wurden über 22.500 jüdische Häftlinge aus dem Sammellager Drancy in die deutschen Vernichtungslager deportiert, darunter 10.222 Frauen und 3.285 Kinder. Fast alle Transporte fuhren ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, was für die meisten Deportierten den Tod bedeutete.

Erfahre mehr über Frankreich

Frankreich geriet nach der Niederlage seiner Armee im Juni 1940 unter deutschen Einfluss. Der Norden fiel unter deutsche Militärverwaltung, der Süden blieb zunächst unbesetzt. Im südfranzösischen Kurort Vichy wurde eine von Deutschland abhängige Regierung gebildet. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten etwa 300.000 Juden in Frankreich. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, da die Religionszugehörigkeit in Frankreich nicht registriert wurde. Ende 1940 wurden im Norden die ersten antijüdischen Verordnungen erlassen. Der Politik der Zwangsregistrierung, Ausgrenzung und Beraubung folgten systematische Festnahmen durch die französische Gendarmerie. Vor allem Juden ohne französischen Pass gerieten ins Visier des deutschen SS- und Polizeiapparates sowie der einheimischen Behörden. Mit dem Anwachsen des französischen Widerstandes ging der deutsche Militärbefehlshaber General Otto von Stülpnagel (1878–1948) dazu über, als Abschreckung Unbeteiligte erschießen und insbesondere Juden festnehmen zu lassen. Diese Verhafteten gehörten zu den ersten, die ab März 1942 in die Vernichtungslager im besetzten Polen verschleppt wurden. Etwa 75.000 Menschen wurden in über siebzig Transporten verschleppt und ermordet. Die Mehrzahl der französischen Juden überlebte, zumeist in Verstecken im südlichen Landesteil. Krieg und Verfolgung fielen in Frankreich etwa 600.000 Menschen zum Opfer, unter ihnen 270.000 Zivilisten. Während andere Opfergruppen bis heute wenig differenziert behandelt werden, hat sich seit Ende der 1980er Jahre die Forschung zu Patienten, die in Heimen und Kliniken zu Tode kamen, verstärkt. Heute wird von bis zu 50.000 Opfern ausgegangen. In beiden Landesteilen hatte es während der Besetzung Verfolgung, Kollaboration und Widerstand gegeben. Insbesondere die Erinnerung an den Kampf der »Résistance« als Ausdruck französischer Vaterlandsliebe und das Leid der »Deportation« boten nach dem Krieg die Möglichkeit, Gegensätze zwischen Konservativen (Gaullisten) und nach Moskau ausgerichteten Kommunisten zu überbrücken. Dem entsprechen die Widmungen zahlreicher Museen und Gedenkstätten – wie das »Mémorial des Martyrs de la Déportation« (Denkmal für die Märtyrer der Deportation) in Paris aus dem Jahr 1956 und das 2005 in der KZ-Gedenkstätte Natzweiler eröffnete »Centre Européen du Résistant Déporté« (Europäisches Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers). Ab Anfang der 1990er Jahre entstanden Einrichtungen wie das Maison d’Izieu (Haus von Izieu) bei Lyon, wo an 44 verschleppte jüdische Kinder erinnert wird, die Nationale Gedenkstätte im ehemaligen Lager Gurs sowie ein Erinnerungszentrum in Oradour sur Glane – einer Ortschaft, die die SS 1944 zerstört hatte. Die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust ist die 2005 eröffnete »Mémorial de la Shoah« im Zentrum der Hauptstadt. Mittlerweile haben mehrere französische Staatspräsidenten die Mitverantwortung des Landes für den Holocaust in Frankreich anerkannt. Die 1988 eröffnete und 2002 erweiterte Gedenkstätte in Caen, die an die Landung der Westalliierten in der Normandie 1944 erinnert, ist die meistbesuchte Gedenkstätte außerhalb von Paris. Hier finden die jährlichen nationalen Gedenkfeiern an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland statt. Zudem gibt es zahlreiche regionale Museen, in denen die Auseinandersetzung mit Verfolgung, Widerstand und Deportation im Mittelpunkt steht.

Erinnerung

In der Nachkriegszeit wurde die Geschichte des Bahnhofs Bobigny zunächst vernachlässigt. Obwohl auf Initiative zweier Verbände (»Confédération générale des internés déportés politiques«, »Union internationale contre le racisme«) im September 1948 bereits drei Gedenktafeln dort eingeweiht wurden, wurde der Bahnhof Bobigny von der französischen staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF bis in die 1970er Jahre weiter als Güterbahnhof verwendet. Außerdem ließ sich ab 1954 ein Schrotthändler auf dem Bahnhofsgelände nieder.

Der Widerstand des damaligen Bürgermeisters der Stadt Bobigny George Valbon und der Association Fonds Mémoire d‘Auschwitz (AFMA, deutsch: »Verein Gedenkfonds Auschwitz«) gegen den geplanten Abriss des Bahnhofsgebäudes durch die SNCF im Jahr 1988 gab den ersten Impuls zur Erhaltung des Bahnhofs Bobigny als Gedenkort. Dies setzte einen langen Prozess der Forschung und der historischen Aufarbeitung in Gang, was schließlich im Jahr 2005 dazu führte, dass der Bahnhof unter Denkmalschutz gestellt und der Stadt Bobigny überlassen wurde.

Im Januar 2011 unterzeichneten die Stadt Bobigny und die SNCF in Anwesenheit der Auschwitz-Überlebenden und ehemaligen Präsidentin des Europäischen Parlaments Simone Veil (1927-2017) und des Historikers Serge Klarsfeld (1935-) eine Absichtserklärung zur Einrichtung eines Gedenkortes auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Bobigny. Den künstlerischen Wettbewerb gewann das Architekturbüro Atelier d’architecture Philippe Prost (AAPP). Nach drei Jahren Bauzeit wurde der Gedenkort schließlich am 18. Januar 2023 der Öffentlichkeit vorläufig zugänglich gemacht und am 18. Juli 2023, auf den Tag genau 80 Jahre nach der Abfahrt des ersten Deportationszuges vom Bahnhof Bobigny, offiziell eingeweiht.

Angebote

Dauerausstellung zur Geschichte des Bahnhofs Bobigny, Wechselausstellungen zu verschiedenen Themen, Führungen, Kulturveranstaltungen

Öffnungszeiten

Mittwochs bis sonntags 9.30 bis 12.30 und 14.00 bis 17.00
Montags und dienstags geschlossen
Führungen nach Vereinbarung

Kontakt

https://garedeportation.bobigny.fr/52/accueil.htm

gare.deportation@ville-bobigny.fr

+33 1 89 57 21 57 / +33 6 26 49 91 96

69-151 avenue Henri Barbusse
93000 Bobigny, France