In der albanischen Hauptstadt Tirana steht seit 2020 ein Holocaustdenkmal. Es erinnert vor allem an die Tatsache, dass die meisten Juden, die während des Krieges in Albanien lebten, durch die albanische Bevölkerung beschützt und nicht an die deutschen Besatzer ausgeliefert wurden.
Juden lebten bereits seit der Antike auf dem Gebiet des heutigen Albanien. Als Albanien zum osmanischen Reich gehörte, gab es im Gegensatz zu den meisten christlichen Ländern Europas kaum nennenswerte Intoleranz oder Verfolgung gegenüber Juden. Dies änderte sich erst im 19. und im frühen 20. Jahrhundert, als es im Zuge von politischen Unruhen auch zu Übergriffen auf Juden kam.
Am Vorabend der italienischen Besatzung Albaniens im April 1939 lebten lediglich einige Hundert Juden in Albanien bei einer Gesamtbevölkerung von etwa einer Million, die größtenteils ländlich geprägt war. Albanien wurde in Italien eingegliedert und stellte eine Kollaborationsregierung. Trotz des Bündnisses zwischen Italien wurden Juden in Albanien – mit Ausnahme des ab 1941 angeschlossenen Kosovos – nicht verfolgt. Als sich die Verfolgung der Juden anderswo in Europa intensivierte, flohen einige tausend Juden nach Albanien, viele in der Hoffnung, Schiffe in Richtung Palästina besteigen zu können.
Nachdem es in Italien im September 1943 zu einem Machtwechsel gekommen und der faschistische Diktator Mussolini abgesetzt worden war, wurde Albanien von der deutschen Wehrmacht besetzt. Juden flohen aus den Städten in ländliche Gebiete, wo die meisten von ihnen bei albanischen Familien Zuflucht fanden. Dabei spielte die albanische Tradition des »Besa« (wörtlich: »ein Versprechen halten«), der Fremden Schutz bietet, eine entscheidende Rolle. Auch die albanische Kollaborationsregierung weigerte sich, den Deutschen Listen mit den Namen der im Land lebenden Juden zu übergeben. Zudem wuchs der albanische Widerstand, der bald die militärischen Ressourcen der Deutschen band. Somit waren die deutschen Pläne, die Juden aus Albanien zu deportieren, zum Scheitern verurteilt. Während der deutschen Besatzung wurden lediglich zwei jüdische Familien aus Albanien in deutsche Konzentrationslager verschleppt.
Auf dem Gebiet des heutigen Albanien haben sich während der deutschen Besatzung nach unterschiedlichen Angaben zwischen 600 und 1.800 Juden verstecken können. Sie wurden von der örtlichen Bevölkerung geschützt. Lediglich zwei jüdische Familien wurden während der deutschen Besatzung deportiert.
Die Situation im Kosovo, der zu dieser Zeit ebenfalls zu Albanien gehörte, war anders: dort waren Einheiten der SS-Division Skanderbeg, die sich aus lokalen Albanern rekrutierte, an der Auslieferung von hunderten Juden an die Nationalsozialisten beteiligt. Viele von ihnen wurden anschließend ermordet.
Erfahre mehr über Albanien
Albanien war das einzige Land in Europa, in dem nach dem Holocaust mehr Juden lebten als davor. Dennoch hat die Erinnerung an die Verfolgung und die Rettung der Juden im Land jahrzehntelang kaum eine Rolle in der kollektiven Erinnerung gespielt. Nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht 1944 errichteten die Kommunisten unter der Führung von Enver Hoxha (1908–1985) eine stalinistische Diktatur. Jahrzehntelang war Albanien von der Außenwelt so gut wie abgeschottet, während in der offiziellen Erinnerung der Kampf der Partisanen gegen die Besatzer alle anderen Aspekte des Zweiten Weltkrieges in den Schatten stellte.
Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur 1991 durchlebte Albanien eine Periode von wirtschaftlichen Krisen und politische Instabilität. Die meisten Juden, die noch im Land gelebt hatten, emigrierten, so dass in Albanien heute kaum mehr Juden leben. Dennoch hat die Aufmerksamkeit für das Schicksal der Juden während der deutschen Besatzung in den letzten Jahren zugenommen. Am 9. Juli 2020 wurde schließlich ein Holocaustdenkmal in Tirana eingeweiht. Die Initiative dazu kam vor allem von US-amerikanischen Diplomaten.
Das Denkmal wurde vom amerikanischen Architekten Stephen B. Jacobs (1939–2021) entworfen. Jacobs, der als jüdisches Kind in Polen den Holocaust überlebt hatte, war tief beeindruckt von der Geschichte der Rettung der Juden in Albanien. Bei der Einweihung hielten der albanische Premierminister Edi Rama sowie die Botschafter der USA und Israels Reden. Das Denkmal befindet sich in einem Park nahe der Polytechnischen Universität Tirana und besteht aus drei Gedenktafeln, an denen die Inschrift in drei Sprachen – Englisch, Albanisch und Hebräisch – an die sechs Millionen ermordete europäischen Juden sowie die albanischen Retter erinnert. Auf dem Boden ist das Talmud-Zitat eingraviert: »Wenn jemand ein Menschenleben rettet, rettet er die ganze Welt.«
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich