Nahe dem ehemals ostpreußischen Schippenbeil (polnisch: Sępopol) im Landkreis Bartenstein (polnisch: Powiat Bartoszycki) erinnert seit 2009 ein Gedenkstein an die 1.250 Häftlinge eines Arbeitslagers, das zwischen September 1944 und Januar 1945 bestand.
Angesichts der herannahenden Roten Armee forderte das Luftwaffenbauamt Königsberg im KZ Stutthof Häftlinge für den Ausbau von Flugplätzen und Landebahnen zur Verteidigung Ostpreußens an. Der Kommandant des KZ Stutthof, SS-Sturmbannführer Paul Werner Hoppe (1910 – 1974), gab daher am 21. September 1944 den Sonderbefehl zur Einrichtung von fünf Außenarbeitslagern in Ostpreußen; ein sechstes war bereits kurz zuvor in Königsberg (heute russisch: Kaliningrad) eingerichtet worden. Am Tag darauf traf der erste Transport auf dem Fliegerhorst Schippenbeil ein: 900 Frauen und 100 Männer, am 9. Oktober folgte der zweite mit 250 weiteren Frauen. Die jüdischen Häftlinge stammten vor allem aus Polen und Ungarn. Sie wurden von 46 Soldaten der Luftwaffe unter Befehl von sechs SS-Angehörigen bewacht. Ihre Aufgabe bestand in der Rodung eines Waldgebiets für ein geplantes Flugfeld – südwestlich von Schippenbeil, bei Wöterkeim (polnisch: Wiatrowiec). Als Reaktion auf den Vorstoß der Roten Armee Mitte Januar 1945 wurde das Lager aufgelöst. Bei der »Evakuierung« des Lagers Schippenbeil am 22. Januar blieben 25 Frauen für »Aufräumarbeiten« zurück, die am 10. Februar im 35 Kilometer entfernten Preußisch Eylau (heute russisch: Bagrationowsk) befreit wurden und alle überlebten. Alle übrigen Häftlinge mussten 60 Kilometer nach Königsberg und von dort am 26. Januar 50 Kilometer weiter nach Palmnicken (russisch: Jantarnyj) marschieren. In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1945 trieben deutsche SS-Leute und ausländische Angehörige der Organisation Todt etwa 3.000 Frauen und Männer aus allen sechs ostpreußischen Außenkommandos des KZ Stutthof an den eisigen Strand der Ostsee und erschossen sie mit Maschinengewehren. Etwa 200 überlebten und konnten sich verstecken. Hitlerjungen machten Jagd auf sie und übergaben sie der SS zur Exekution. Nur 30 Personen konnten entkommen.
Im Lager Schippenbeil hielt die SS ab Spätherbst 1944 1.250 jüdische Zwangsarbeiter gefangen, vor allem Frauen aus Polen und Ungarn. Allein bis Ende Oktober / Anfang November 1944 kamen 150 Häftlinge um, bis Anfang Januar 1945 Dutzende mehr. Nach der sogenannten Evakuierung am 22. Januar 1945 soll laut einer Zeitzeugin eine Baracke mit 100 »Schwerkranken« gesprengt worden sein. Auch auf dem Marsch nach Königsberg dürfte es Opfer gegeben haben. Die »Stärkemeldung« der SS vom 24. Januar 1945 verzeichnete 851 Frauen und 96 Männer aus dem Außenkommando Schippenbeil. Wie viele von ihnen Palmnicken erreichten, ist unbekannt. Das Massaker mit mindestens 3.000 Ermordeten überlebten 30 namentlich bekannte Personen, aus Schippenbeil sind es: Lusia (Lucie) Cytryn (1923 – 2011), verheiratete Cytryn-Bialer, aus Pabianice, später: Frankreich; Chawa Minka (Eva) Ginat (1925 – 2008), verheiratete Nagler, aus Lodz, später: Australien; Chana Klinowska (1920 – ?), verheiratete Ojzerowicz, aus Warta, später: Israel; Regina (1922 – ?) und Zysla Lieberbaum (1925[6] – ?), beide verheiratete Mueller, aus Radom, später: Brasilien.
Erfahre mehr über Polen
Über die Geschichte des Lagers Schippenbeil ist wenig bekannt. 2025 veröffentlichte die Stiftung Denkmal die Erinnerungen von Chawa Minka (Eva) Ginat (1925 – 2008), verheiratete Nagler, aus Lodz unter dem Titel »Massenmord am Ostseestrand«, die Einblicke in den dortigen Alltag bieten. Eva Nagler ist eine von 30 namentlich bekannten Überlebenden des Todesmarsches und des Massakers von Palmnicken.
Die frühere ostpreußische Kleinstadt Schippenbeil liegt unweit der heutigen polnischen Staatsgrenze zum Königsberger Gebiet (russisch: Kaliningradskaja Oblast‘) der Russischen Föderation und heißt heute Sępopol. Die deutschen Einwohner flohen Anfang 1945 oder wurden später vertrieben. Am Ort zeugen lediglich eine Pflasterstraße und eine Betonpiste von der Baustelle für ein Flugfeld. Am 21. September 2009 – anlässlich des 65. Jahrestages der Inbetriebnahme des Lagers – wurde an der Landstraße zwischen Schippenbeil und Wöterkeim ein Gedenkstein in der Nähe des ehemaligen Lagers eingeweiht. Seine Inschrift lautet: »Pamięci Ofiar Niemieckiego Nazizmu – Więźniów Podobozu Schippenbeil, KL. Stutthof (1944 – 1945)« (deutsch: »In Erinnerung an die Opfer des deutschen Nazismus – Häftlinge des Außenlagers Schippenbeil, KL. Stutthof (1944 – 1945)«).
Der Gedenkstein ist jederzeit zugänglich.
11-210 Sępopol