Zitadelle von Lüttich

Citadelle de Liège


Die Zitadelle von Lüttich (französisch: Liège) diente jahrhundertelang als Militärfestung, wurde jedoch während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht als Gefängnis und Hinrichtungsstätte für Juden und Widerstandskämpfer genutzt. Heute erinnert ein Gedenkort auf dem Gelände der Zitadelle an die Geschichte des Ortes.

Geschichte

Ursprünglich im 13. Jahrhundert errichtet, wurde die Zitadelle von Lüttich im Laufe der Jahre mehrmals zerstört und wiederaufgebaut. Sie diente als Militärfestung zusammen mit dem nahe gelegenen Fort de la Chartreuse, doch angesichts der technischen Weiterentwicklung der Artillerie wurde sie 1891 außer Dienst gestellt und ab 1911 von der belgischen Armee als Kaserne genutzt.

Im Mai 1940 griff die deutsche Wehrmacht das bis dahin neutral gebliebene Belgien an. Nach der Kapitulation des Landes am 28. Mai 1940 wurde das Gebiet Belgiens unter deutsche Militärverwaltung gestellt. In diesem Zusammenhang nahm die Wehrmacht die Zitadelle von Lüttich in Besitz und benutzte sie fortan als Gefängnis und Hinrichtungsstätte für Juden und Widerstandskämpfer. Vor ihrer Hinrichtung wurden die Häftlinge im »Block 24« festgehalten.

Zwischen dem 21. Mai 1941, dem Datum der ersten Hinrichtung, und dem 7. September 1944, dem Tag der Befreiung der Zitadelle, wurden über 200 Häftlinge in der Zitadelle erschossen.

Opfergruppen

Insgesamt wurden 221 Personen in der Zitadelle von Lüttich hingerichtet, die meisten von ihnen Widerstandskämpfer sowie einige Juden. Die meisten Opfer waren Belgier, aber einige kamen auch aus anderen europäischen Ländern.

Erfahre mehr über Belgien

Das neutrale Belgien wurde im Mai 1940 angegriffen und stand fortan unter deutscher Militärverwaltung. Das deutschsprachige Gebiet um Eupen-Malmedy im Osten Belgiens wurde Teil des Deutschen Reiches. Damals lebten etwa 66.000 Juden im Land, darunter viele Flüchtlinge. Im Oktober 1940 wurden die ersten antijüdischen Verordnungen erlassen. Die Verfolgungs- und Beraubungspolitik der Besatzungsmacht mündete 1942 in die Vorbereitung systematischer Deportationen. Nachdem nur wenige Juden den Aufrufen zu angeblichen Zwangsarbeitseinsätzen folgten, führte der SS- und Polizeiapparat Razzien durch. Nach einem Aufenthalt im Zwischenlager Mechelen wurden die Verhafteten in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort sofort ermordet. Insgesamt fielen etwa 25.000 Juden und mehr als 350 Roma aus Belgien den Deportationen zum Opfer. Die Festung Breendonk bei Antwerpen diente ab September 1940 als Gefängnis, Auffang- und Durchgangslager, von wo vor allem politische Gegner der nationalsozialistischen Besatzer in deutsche Konzentrationslager transportiert wurden. Ende 1944 kam es im Rahmen der Ardennenoffensive im Südosten des Landes – in Lüttich und der Gegend um Malmedy – zu weitreichenden Zerstörungen mit zahlreichen zivilen Opfern, als deutsche Truppen erfolglos versuchten, die bereits bis Aachen vorgerückten Alliierten aufzuhalten. Etwa 90.000 Belgier wurden Opfer von Krieg und Besatzung. Die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung konnte dank der Hilfe nichtjüdischer Belgier überleben. Die belgische Gedenkkultur war und ist – entsprechend der politischen Struktur des Landes – mehrfach gespalten: Im französischsprachigen, wallonischen Landesteil ging lange eine verbreitete Überbewertung des Widerstandes mit der einseitigen Wahrnehmung Flanderns als »schwarz«. Dort wiederum beschönigten viele die Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern als Kampf für die vom belgischen Staat verfolgte flämische Nation. Die Verfolgung der Juden wurde verdrängt, ein Gedenken lediglich von der jüdischen Gemeinschaft aufrechterhalten. Seit den 1980er Jahren setzten sich an belgischen Gedenkorten jene Darstellungen durch, die nicht nur die flämische, sondern auch die wallonische Kollaboration zeigten und sowohl Widerstand als auch Unterdrückung zum Thema machten. Bei der Eröffnung des jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseums im flandrischen Mechelen im Jahr 1995 wurde deutlich, dass die von jüdischen und nichtjüdischen Belgiern geteilte Lagererfahrung eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Erinnerungen schafft. Die gleichberechtigte Existenz verschiedener Gedenkstätten wie zum Beispiel der Stätte des nationalen Widerstands in Breendonk und des Museums in Mechelen scheint inzwischen selbstverständlich zu sein.

Erinnerung

In der Nachkriegszeit wurde die Bastion Saint-François nördlich der Zitadelle von Lüttich in einen Friedhof umgestaltet, damit die Familien der Hingerichteten dort ihrer Toten gedenken konnten: Auf dem Gelände waren nämlich ihre Leichen begraben. Der neu eingerichtete Eingang zum Friedhof wurde am 12. Oktober 1947 eingeweiht.

Im Januar 1967 wurde die Zitadelle vom Sozialamt der Stadt Lüttich erworben. Ein Großteil der Zitadelle wurde 1974 abgerissen, um die Errichtung eines öffentlichen Krankenhauses auf ihrem Gelände zu ermöglichen. Wenige Teile der Zitadelle blieben erhalten.

Am 11. Oktober 1982 wurden die Überreste der Bastionen der Zitadelle unter Denkmalschutz gestellt. Nachdem ihre Verwaltung an das belgische Verteidigungsministerium übergeben worden war, wurden umfangreiche Restaurierungsarbeiten durchgeführt. Diese wurden 2011 abgeschlossen. Heute erinnert der »Enclos des Fusillés« (deutsch: »Feld der Erschossenen«) auf dem Gelände der Bastion Saint-François an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in Belgien. Dort befinden sich 419 Gedenkkreuze in Erinnerung an die Erschossenen der Zitadelle von Lüttich und an die Zivilisten, die in anderen Orten in Belgien hingerichtet wurden. Zusätzlich wurden Gedenktafeln an mehreren Stellen des Friedhofes aufgestellt.

Am 24. September 2021 wurde der »Enclos des Fusillés« als »Nécropole nationale« (deutsch: »Nationale Gedenkstätte«) durch eine königliche Verordnung anerkannt.

Öffnungszeiten

Der Gedenkort ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

https://www.echosdesfusilles.be/index.php

Boulevard du 12ème de Ligne
4000 Lüttich/Liège, Belgien/Belgium